Donnerstag, Februar 04, 2016

Brief an Norbert Röttgen - Syrieneinsatz

Sehr geehrter Herr Röttgen,

Sie haben in ihrer Rede vor dem Bundestag gefordert, man solle sich die Augen eines einzigen von der IS entführten Mädchen vorstellen, das entführt wurde und zur Finanzierung des Terrors verkauft wurde. Damit haben Sie ein sehr starkes Argument bemüht, das es dem mitfühlenden Menschen unmöglich macht, dem Kampf gegen den Terror nicht zuzustimmen. Ich frage mich allerdings, wo ihr Mitgefühl bei den Mädchenaugen bleibt, die zur Prostitution in Europas Bordellen gezwungen werden. Wo ist ihr Mitgefühl, wenn Sie sich die Augen der über 8000 Kinder unter 5 Jahren und ihrer Mütter vorstellen, die jeden Tag an den Folgen von Unterernährung sterben. Wie kann man 134 Millionen für Krieg bewilligen, angesichts dieses Elends, wohl wissend, dass dieses Geld töten wird und noch mehr verzweifelte Kinderaugen erzeugt. Sehr geehrter Herr Röttgen, ihre Rechtfertigung des Kriegseinsatzes ist beschämend und stellt auch sicher nicht den Willen des deutschen Volkes dar. Vielleicht überlegen Sie einmal, ob Sie in ihrer zweiten Lebenshälfte doch noch etwas verändern wollen. Denken Sie an die Augen ihrer Kinder und Enkelkinder.

Ich habe, bevor ich diesen Brief geschrieben habe, zwei Bücher von Peter Scholl-Latour gelesen. Damit sehe ich die Tragweite der Entscheidung für einen Bundeswehreinsatz noch weitreichender. Ich werde nie wirklich verstehen können, wie es zu den Gräueltaten des Dritten Reiches kam. Was man nicht erlebt hat, ist schwer zu begreifen. Was ich aber verstehen kann, ist, wie sich Geschichte wiederholt. Eigentlich ist es ihre Aufgabe zu verhindern, dass sich eine Militarisierung Deutschlands wiederholt. Eigentlich ist es ihre Aufgabe, den Frieden zu sichern und ein friedliches Zusammenleben der Völker zu fördern. Was ich aber miterleben muss, ist, wie sich Krieg und Elend ausbreiten. Es ist einfach, Schuldzuweisungen zu machen, aber schwierig, die Menschen zu verstehen. Ja, ein einzelner kann nichts verändern. Er kann aber versuchen, sein Gegenüber zu verstehen. Ich habe ausprobiert, was es bedeutet, plötzlich nichts mehr zu essen, als wäre man auf der Flucht. Der Hunger kommt und ist plötzlich wieder verschwunden. Wenn man jetzt wieder anfängt, sehr wenig zu essen, entsteht kein Hungergefühl, wie wir es verstehen, nein, es sind Schmerzen. Wahrscheinlich gewöhnt man sich an diesen Zustand und wer es nicht anders kennt, träumt nicht einmal davon, dass dieses Gefühl aufhört.

Wie viele Jahre spenden wir nun schon für Brot für die Welt? Und was ist das Ergebnis? Hunger und Armut gibt es inzwischen auch in den Geberländern. Mit Wohltätigkeit können wir diese Welt nicht verändern. Wir sind es, die sich ändern müssen. Jede Politik fordert mehr Wachstum. Wenn uns das Wohl unserer Kinder am Herzen liegt, müssen wir aufhören, mehr zu verlangen. Wir müssen endlich anfangen, gerecht zu verteilen. Der Großteil der führenden Industrienationen behauptet von sich, christlich zu sein. Die Superreichen dieser Länder nehmen aber für sich in Anspruch, wie Götter über Leben und Tod zu entscheiden.



Mit freundlichen Grüßen



Andreas Teichmann Leipzig, den 31.01.2016

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