Samstag, April 27, 2019

Notre-Dame - eine Gesellschaft an der Kette der Wohltätigkeit


Das Feuer in Notre-Dame ist eine Katastrophe. Sie ist ein Kulturgut, ein Zeugnis handwerklicher Fähigkeiten, deren Schönheit unabhängig von ihrem Zweck auf den Betrachter wirkt. Die Frage, ob die Politik in der Lage war die Notre-Dame vor der Zerstörung zu schützen, macht den Brand zum Politikum, der Frankreich in einer angespannten Lage trifft. Das merkt man auch an der Berichterstattung über das Feuer. Über Zeitabläufe wird fast nicht berichtet, die Brandursache wird bemerkenswert schnell als geklärt angesehen. Auch die Auszeichnung der Lösch- und Hilfskräfte erfolgt schneller als man einen abschließenden Bericht schreiben kann. Dass ein Einsatzleiter eine Entscheidung trifft was wichtiger ist löschen oder evakuieren, ist ein normaler Vorgang, den man nicht bewerten kann, ohne die Lagebeurteilung beim Eintreffen zu kennen. Zu mindestens würde es eine Untersuchung geben, ob diese Entscheidung richtig war. Was viel interessanter ist, ist, dass es wohl zwei Alarmmeldungen gab. Eine 18:20 Uhr, bei der kein Feuer entdeckt wurde und eine 18:43 Uhr, wo es kurz danach schon lichterloh brande. Das wirft Fragen auf, die niemand zu stellen scheint und Gegenstand einer Untersuchung sein müssten. Wenn man bei der Brandmeldung um 18: 20 Uhr ein Feuer gesucht hat, wäre die Feuerwehr 18:43 Uhr bereits vor Ort gewesen. Wenn ein Melder einläuft, begibt sich in Deutschland die Feuerwehr in die Brandmeldezentrale und stellt die eingelaufenen Meldungen fest. Dann zieht sie die betreffende Laufkarte und begibt sich in den Brandabschnitt, in dem der Melder eingelaufen ist. Kann kein Feuer festgestellt werden, wird der Melder zurückgesetzt. Bis man sich in einem historischen Gebäude zurechtgefunden hat, in dem es keine genormten Fluchtwege gibt und die 46 Meter mit Atemschutzausrüstung und Kleinlöschgerät empor gestiegen werden müssen, dürfte etwas Zeit vergehen. Was in den 23 Minuten zwischen den Alarmen passiert ist, wirft auf jeden Fall Fragen auf. Die erste Frage ist: wurde die Rettungsfrist eingehalten. Der erwähnte Pariser Berufsverkehr ist keine Rechtfertigung, dass eine angeforderte Hilfe zu spät kommt. Wann wurde Verstärkung angefordert?

Die nächste Frage ist: wenn ein Brand in 46 Metern Höhe mit örtlicher Technik nicht erreicht werden kann, weil sie aus Kostengründen nicht angeschafft wird, wurde wenigstens alles für den baulichen Brandschutz getan. Sind wir wirklich nicht in der Lage, einen Dachstuhl vor Feuer zu schützen und das mit dem Denkmalschutz in Einklang zu bringen.

Wenn Geld vorhanden ist, sind die Menschen zu erstaunlichen Leistungen fähig. Wenn es fehlt wird es zur Existenzfrage. Wir brauchen keine Feuerwehr, die man zu Helden erklärt, sondern eine, die technisch und personell so ausgestattet ist, dass sie ihren Job mit wenig Risiko ausüben kann. Davon sind wir weit entfernt und es wäre viel schlimmer, wenn es nicht die freiwillige Feuerwehr gäbe. In Deutschland ist es seit Jahren nicht möglich, eine finanzielle Anerkennung durchzusetzen und das obwohl das Ehrenamt mehr als eine Unterstützung öffentlicher Aufgaben ist. Die freiwillige Feuerwehr in der ich Mitglied war, leistete im Durchschnitt 210 zu Spitzenzeiten fast 400 Einsätze im Jahr. Was taugt ein Brandschutzbedarfsplan, der so aufs Ehrenamt zugreifen muss? Ausbaden muss die Fehler der Bürger, der auf Hilfe wartet und die Hilfskräfte, die sich wegen wachsender Unzufriedenheit immer mehr Anfeindungen ausgesetzt sehen. Die Notre-Dame ist ein Sinnbild für den Untergang von gesellschaftlichen Werten. Das kann man nicht mit Spendengeldern beheben. Den Kommunen fehlen die Steuereinnahmen, um ihre Infrastruktur und einen leistungsfähigen Rettungs-Hilfsdienst zu unterhalten. Wenn die Medien nicht wissen wollen, ob es Verantwortliche für das Abbrennen der Notre-Dame gibt, obwohl das eine Sensationsmeldung wäre, dann weil es keine freie Presse gibt. Macron ist nicht Präsident der Franzosen, sondern Präsident der Reichen. Deshalb wird Macron als Retter der Notre-Dame präsentiert und die Spender als Wohltäter. Alles andere könnte die Proteste der Gelbwesten stärken und eine Revolution auslösen. Leider lassen wir uns mit Wohltätigkeit besänftigen und erkennen nicht, dass wir damit immer tiefer in Abhängigkeit des Zinsgeldes der Reichen geraten. Kultur war einmal Triebkraft gesellschaftlicher Veränderungen und ist inzwischen Selbstdarstellung reicher Sponsoren. Kein Feuer ist wie das andere. Die Geschwindigkeit, in der ein Entstehungsbrand zum Großfeuer in einem überwachten Bereich wurde, ist ungewöhnlich. Man sollte darauf achten, dass die Notare-Dame nicht zum Reichstagsbrand wird.